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Alfred Rietzler

Star-Club München (4): Himmel, Arsch und Abendzeitung

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Es gab eine Zeit, da war die Münchner Abendzeitung mehr als nur eine Zeitung. Sie war eine Institution, eine Love-Brand für ganz Deutschland. Auflage: 300.000 Auflage. Frisch, frech und exklusiv. Heute, 40 Jahre nach meinem letzten AZ-Arbeitstag, frage ich mich: „Wie wurde aus dem Platzhirschen ein Sorgenkind?“ Eine Analyse mit Enthüllungen.

Mit 86 immer noch locker: der ehemalige AZ-Reise-Chef Günter Reimann

Das WIR

„Mia san mia – der Claim des FC Bayern kam eigentlich von uns, schon in den 60er Jahren“, sagt Günter Reimann. Als AZ-Redakteur war er so was wie der Erfinder des modernen Action-Journalismus. Reimann produzierte die ersten Ski- und Freizeitseiten Deutschlands. Mit ihm und der AZ ging´s zu den ersten Skitests nach Sölden und zum Stadtlauf durch München.

Mit dabei: AZ-Redakteurin Elke Reichart. Nach der sportlichen Freizeit berichtete sie über Lokal- und Medizinthemen

Neue Ideen, neue Zielgruppen: Die AZ-Strategie kam auch in der Wirtschaft an. Bekannte Marken, wie SportScheck, Bettenrid, der ADAC und der DSV, machten mit bei Reimanns Freizeit-Reise-Action-Zirkus. Er sagt: „Unser Erfolg war das Ergebnis kreativer Ideen und perfektem Teamwork“. Reimanns letzter AZ-Arbeitstag war vor 23 Jahren. Er ist heute 86.

München setzte ihm ein Denkmal: AZ-Kolumnist Sigi Sommer (1914-1996) in der Rosenstraße

Erfolgsfaktor Kollektiv:
Das Team bildeten starke Schreiber wie Sigi Sommer (Blasius der Spaziergänger), Michael Jürgs (später Stern und Star-Autor), Wolf Heckmann („politisches Naturereignis“, Ex-Bild, Ex-BZ, dann Hamburger Morgenpost), Claus Strunz (später Chef der Welt, Bild am Sonntag, Sat1, ntv), Edgar Fuchs (BUNTE und Beckenbauer-Biograf), Manfred Hart (Chefredaktion Bild, BUNTE, bild.de), Jürgen Frohner (Chef der Deutschen Journalistenschule), und, und, und. Nicht zu vergessen, die Illustratorin Franziska Bilek (Herr Hirnbeis). Tradition und Schickeria – alles war in der Abendzeitung.

25 Jahre lang Chefredakteur: Udo Flade mit dem damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Flade verstarb am 18. Juni im Alter von 97. Foto: Guido Krzikowski

Erfolgsfaktor Führung:
Das WIR bestand nicht nur aus prominenten Journalisten und ihren Netzwerken. Entscheidend war Chefredakteur Udo Flade. Er platzierte die Marke AZ nachhaltig, 25 Jahre lang, zusammen mit Verlegerin Anneliese Friedmann.

Erfolgsfaktor Hintermannschaft:
Orga und Herstellung gehörten auch zum Erfolg. Beispiel: Alfred Rietzler, 31 Jahre lang Chef vom Dienst (CVD), Herr der Produktion. Er aktualisierte nachts das Blatt, wenn z.B. Promi-Jäger Graeter die exklusive Romy Schneider-Party brachte (siehe StarClub, Folge 3). Ebenso über 30 Jahre lang an der AZ-Werkbank: Helmut Altinger (Grafik) und Gerhard Merk (News).

31 Jahre Chef vom Dienst, Herr der AZ-Produktion: Alfred Rietzler. Blieb im Fach Management, organisiert heute u.a. den AZ-Stammtisch Foto. Guido Krzikowski

Das ICH

Die Redaktion der Abendzeitung war eine Ansammlung von Individualisten mit Fachgebiet (z.B. Medizin-Expertin Elke Reichart, Foto oben). Lauter Egos – und trotzdem Teamplayer. So verschieden die Ressorts, so einig die Mannschaft: Jeder arbeitete an und für den Erfolg. Ich, Peter Ehm, war auch dabei. Fast acht Jahre lang, Polizeireporter. Ich habe viel gelernt, weiß jetzt wie Champions League geht.

Trainingseinheit Telefonaktion (v.l.): Marie von Waldburg (AZ), Komponist Konstantin Wecker und Peter Ehm (AZ)

Die Zukunft

Die Rezepte von gestern funktionieren auch heute – wenn man sie denn ernst nimmt. Inhalt heißt eben heute Content. Aber kreative Storys gewinnen immer. Damals stellte die AZ ein Bett auf den Marienplatz und berichtete: „So schlafen die Münchner.“ Eine Riesengaudi war eine Winter-Challenge: „So rutschen die Münchner.“

Machte mit bei den AZ-Aktionen: der Münchner Stuntman Paul Felix. Er wurde bekannt durch Filme mit Fassbinder („Berlin Alexanderplatz“) und Kinski („Der Söldner“). Kannte fast alle in der Schwabinger Schickeria, gehörte deshalb zum AZ-Informanten-Netzwerk

Mit den Ideen des damaligen Lokalredakteurs Reimann könnte man heute zusätzliche virale Storys produzieren. Die Regel für die Lust an Gedrucktem ist jedenfalls gleichgeblieben: Nur wer begeistert ist, begeistert auch seine Leser!

Also: Aufsitzen und an die Maschinen…

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