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Marie von Waldburg

Star-Club München (4): Himmel, Arsch und Abendzeitung

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Es gab eine Zeit, da war die Münchner Abendzeitung mehr als nur eine Zeitung. Sie war eine Institution, eine Love-Brand für ganz Deutschland. Auflage: 300.000 Auflage. Frisch, frech und exklusiv. Heute, 40 Jahre nach meinem letzten AZ-Arbeitstag, frage ich mich: „Wie wurde aus dem Platzhirschen ein Sorgenkind?“ Eine Analyse mit Enthüllungen.

Mit 86 immer noch locker: der ehemalige AZ-Reise-Chef Günter Reimann

Das WIR

„Mia san mia – der Claim des FC Bayern kam eigentlich von uns, schon in den 60er Jahren“, sagt Günter Reimann. Als AZ-Redakteur war er so was wie der Erfinder des modernen Action-Journalismus. Reimann produzierte die ersten Ski- und Freizeitseiten Deutschlands. Mit ihm und der AZ ging´s zu den ersten Skitests nach Sölden und zum Stadtlauf durch München.

Mit dabei: AZ-Redakteurin Elke Reichart. Nach der sportlichen Freizeit berichtete sie über Lokal- und Medizinthemen

Neue Ideen, neue Zielgruppen: Die AZ-Strategie kam auch in der Wirtschaft an. Bekannte Marken, wie SportScheck, Bettenrid, der ADAC und der DSV, machten mit bei Reimanns Freizeit-Reise-Action-Zirkus. Er sagt: „Unser Erfolg war das Ergebnis kreativer Ideen und perfektem Teamwork“. Reimanns letzter AZ-Arbeitstag war vor 23 Jahren. Er ist heute 86.

München setzte ihm ein Denkmal: AZ-Kolumnist Sigi Sommer (1914-1996) in der Rosenstraße

Erfolgsfaktor Kollektiv:
Das Team bildeten starke Schreiber wie Sigi Sommer (Blasius der Spaziergänger), Michael Jürgs (später Stern und Star-Autor), Wolf Heckmann („politisches Naturereignis“, Ex-Bild, Ex-BZ, dann Hamburger Morgenpost), Claus Strunz (später Chef der Welt, Bild am Sonntag, Sat1, ntv), Edgar Fuchs (BUNTE und Beckenbauer-Biograf), Manfred Hart (Chefredaktion Bild, BUNTE, bild.de), Jürgen Frohner (Chef der Deutschen Journalistenschule), und, und, und. Nicht zu vergessen, die Illustratorin Franziska Bilek (Herr Hirnbeis). Tradition und Schickeria – alles war in der Abendzeitung.

25 Jahre lang Chefredakteur: Udo Flade mit dem damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Flade verstarb am 18. Juni im Alter von 97. Foto: Guido Krzikowski

Erfolgsfaktor Führung:
Das WIR bestand nicht nur aus prominenten Journalisten und ihren Netzwerken. Entscheidend war Chefredakteur Udo Flade. Er platzierte die Marke AZ nachhaltig, 25 Jahre lang, zusammen mit Verlegerin Anneliese Friedmann.

Erfolgsfaktor Hintermannschaft:
Orga und Herstellung gehörten auch zum Erfolg. Beispiel: Alfred Rietzler, 31 Jahre lang Chef vom Dienst (CVD), Herr der Produktion. Er aktualisierte nachts das Blatt, wenn z.B. Promi-Jäger Graeter die exklusive Romy Schneider-Party brachte (siehe StarClub, Folge 3). Ebenso über 30 Jahre lang an der AZ-Werkbank: Helmut Altinger (Grafik) und Gerhard Merk (News).

31 Jahre Chef vom Dienst, Herr der AZ-Produktion: Alfred Rietzler. Blieb im Fach Management, organisiert heute u.a. den AZ-Stammtisch Foto. Guido Krzikowski

Das ICH

Die Redaktion der Abendzeitung war eine Ansammlung von Individualisten mit Fachgebiet (z.B. Medizin-Expertin Elke Reichart, Foto oben). Lauter Egos – und trotzdem Teamplayer. So verschieden die Ressorts, so einig die Mannschaft: Jeder arbeitete an und für den Erfolg. Ich, Peter Ehm, war auch dabei. Fast acht Jahre lang, Polizeireporter. Ich habe viel gelernt, weiß jetzt wie Champions League geht.

Trainingseinheit Telefonaktion (v.l.): Marie von Waldburg (AZ), Komponist Konstantin Wecker und Peter Ehm (AZ)

Die Zukunft

Die Rezepte von gestern funktionieren auch heute – wenn man sie denn ernst nimmt. Inhalt heißt eben heute Content. Aber kreative Storys gewinnen immer. Damals stellte die AZ ein Bett auf den Marienplatz und berichtete: „So schlafen die Münchner.“ Eine Riesengaudi war eine Winter-Challenge: „So rutschen die Münchner.“

Machte mit bei den AZ-Aktionen: der Münchner Stuntman Paul Felix. Er wurde bekannt durch Filme mit Fassbinder („Berlin Alexanderplatz“) und Kinski („Der Söldner“). Kannte fast alle in der Schwabinger Schickeria, gehörte deshalb zum AZ-Informanten-Netzwerk

Mit den Ideen des damaligen Lokalredakteurs Reimann könnte man heute zusätzliche virale Storys produzieren. Die Regel für die Lust an Gedrucktem ist jedenfalls gleichgeblieben: Nur wer begeistert ist, begeistert auch seine Leser!

Also: Aufsitzen und an die Maschinen…

Star-Club München (3): Die geheime Gästeliste vom Café Extrablatt

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Sie sind alle irgendwie im Schlafwagen-Modus: München und seine Promis. Die täglichen Schickeria-Reports von Graeter & Co. gibt´s nicht mehr. Stadt und VIPs müssen jetzt selber schreiben, auf Instagram und so. Aber das Münchner Bussi-Bussi-Schaulaufen gibt´s noch. Wer kann da aktuell mitspielen? Wer hat überlebt? Die geheime Gästeliste „Cafe Extrablatt“.

Karriere-Start Schwabing: Uschi Obermaier in der Muenchner Disco „Edith“ im April 1979. Fast alle Fotos diese Reports sind von Guido Krzikowski

Uschi Obermaier: Vom Schwabinger Discotanzboden in die große Welt. Frech, sexy und emanzipiert: Münchens erfolgreichstes Evergreen-Testimonial. Schauspielerin, Autorin, Fotomodell (Helmut Newton, Richard Avedon) und bis heute aktuell (Stern, Playboy etc.). Geblieben ist die Liebe zur Musik: Bis vor kurzem angeblich alljährliche Top-Secret-Urlaube mit einem Rockstar. Nix genaues weiß man nicht.

Heidi Klum im BR-Studio: perfektes Marketing für sich und die Stadt

••• Heidi Klum: Sie ist die neue Queen im München-Marketing! Während die lokalen Medien das übliche Wiesn-Vorprogramm abspulen (teuerstes Dirndl, bestes Bier), feierte die Blondine vorm Anstich ihr HeidiFest. Lederhosen-Highlive im Hofbräuhaus und auf allen Kanälen. So kess war München schon lange nicht mehr. Imagepolitur von Tokio bis LA.

Gute Freunde: Kolumnist Michael Graeter mit Weltstar Mario Adorf

•• Michael Graeter: Der Ex-AZ-, Bild– und BUNTE-Kolumnist wurde selbst zum VIP, ist mit 84 immer noch im Promi-Ausguck. Aber der Münchner leidet am Stefan-Raab-Syndrom („wo sind meine vielen Fans?“). Streicheleinheiten von Lebensgefährtin Sandrine (siehe StarClub 2), Aufbau-Telefonate von Langzeit-Spetzi Mario Adorf.

••• Mario Adorf: Mit einem unmoralischen Angebot erschütterte er 1986 die komplette Münchner Schickeria. „„Ich scheiß´ dich zu mit meinem Geld“, sagte er in Kir Royal zum Klatschreporter Baby Schimmerlos (1,3 Mio Abrufe auf Youtube). Freundschaft blieb zum echten „Schimmerlos“ Graeter. Z.B. gemeinsame Bootstouren in St. Tropez.

Made in Munich: Das Promi-Jäger-Team Graeter/Krzikowski und der Bardot-Skandal

• Brigit Bardot: Hat mutmaßlich keine gute Erinnerungen an München. 1966 flog ihre Geheimhochzeit mit Gunter Sachs auf (Whistleblower am Münchner Flughafen). Dann fotografierte sie ein Münchner Fotograf, als sie in St. Tropez einen Touristen watschte. Autschi! Der „Prügelfotograf“ im Juli 1984: Guido Krzikowski.

Guido Krzikowski: Plant große Fotoausstellung über Stadtteil Haidhausen. Foto: Barbara Stempfle

•• Guido Krzikowski: Der Münchner war jahrzehntelang im Einsatz für große Verlage. Oft mit Promi-Reporter Graeter. Wie clever einst das Leute-Reporting ablief, schildert er im Fall Romy und Magda Schneider. Streng abgeschirmt feierten die beiden Stars am 17. Mai 1979 in München Geburtstag. Krzikowski: „Wer hatte im Restaurant einen Tisch? Der Michael Graeter mit mir im Team.“ Magda Schneider sei entzückt gewesen, als ihr der Kolumnist einen Strauß Veilchen überreicht.
Graeter: „Können wir nicht ein kleines Geburtstagsfoto machen?
Magda Schneider: „Ja, aber gerne, Michi.“
Graeter: „Vielleicht mit der Romy zusammen?“
Magda: „Ja, aber gern, komm Romy.
Graeters Teamkollege schoss eine Serie von Bestseller-Fotos – exklusiv am 18. Mai 1979 in der Abendzeitung.

Draußen wartete die versammelte Presse. Drinnen lief die exklusive Leute-Story für die AZ

•• Marie von Waldburg: Die Münchner Journalisten war eigentlich die letzte große VIP-Kolumnistin. Graeters Mehrfach-Nachfolgerin. Erst Abendzeitung, dann BUNTE (bis 2016). Führte sanftere Promi-Schreibe ein; mehr Kuscheln, weniger Killer. Trotzdem taffe Exklusiv-Jägerin (siehe Star-Club, Folge 1). Heute immer noch beliebte & anerkannte Marke.

Star-Club München: Marie, Guido und Bob Marley

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Es war mal ein Naturgesetz: die besten Geschichten kommen aus München! Und zwar von der Abendzeitung. Das galt bis weit in die 90er Jahre. Was der FC Bayern heute, das war das AZ-Team damals: hochmotiviert, clever und siegeshungrig. Ein Mannschaftsgeist, der Auflagen von über 300.000 erzielte. Warum war die Redaktion damals so erfolgreich? Ein Blick in die Historie, in den Star-Club München. Heute mit Bob Marley.  

Reggae Musiker Bob Marley (li.) im winterlichen Klinikpark am Tegernsee

Reitstadion München-Riem, 1.6.1980: Vor 35.000 Zuschauern liefert der Musiker ein grandioses Konzert. Was damals kaum jemand weiß: der „König des Reggae“ litt bereits seit drei Jahren an Krebs. Hautkrebs. Nach einem Zusammenbruch in New York, Ende September 1980, suchte der Jamaikaner Hilfe in einer Spezialklinik am Tegernsee. Alles unter strengster Geheimhaltung.

Marie von Waldburg: Als AZ-Redakteurin machte sie das letzte Interview mit dem Reggae-Star

Dann gab´s Gerüchte. Marie von Waldburg, damals Lokalredakteurin bei der Abendzeitung, erinnert sich: „Bei Bild hatte jemand aus dem Klinikumfeld angerufen. Leider nicht bei uns.“ Bild titelte: „Kann neues Blut todkranken Bob Marley retten? Die Jagd am Tegernsee war damit eröffnet. „Das waren schreibende Vampire“, schimpfte später Marleys US-Presseagent Howard Bloom.

Guido Krzikowski: Als Fotograf war er weltweit unterwegs. Plant jetzt eine Fotoausstellung

Jede Redaktion setzte alle Hebel in Bewegung. Aber es gab nichts Konkretes, keine Fotos. Das Tegernseer Tal hielt dicht. Monatelang. Und trotzdem gelang der Abendzeitung ein Scoop.

Sympathisch und erfolgreich: das einstige AZ-Team Waldburg/Krzikowski

Am 1. Februar 1981 postierten sich Marie von Waldburg mit dem AZ-Fotografen Guido Krzikowski im verschneiten Park der Klinik. Warten in eisiger Kälte. Auf Verdacht. Über vier Stunden lang. Und tatsächlich kam der Musiker aus der Klinik. Krzikowski: „Ich habe ihn sofort erkannt und draufgehalten.“ Marley sei von dem „Überfall“ nicht begeistert gewesen, antwortete aber kurz auf Fragen.

Bob Marley: Eines der letzten Fotos, gemacht von Guido Krzikowski

Es war sein letztes Interview, die letzten Bilder. Die Story erschien am Tag drauf in der Münchner Abendzeitung – und wieder einmal exklusiv. Die Winterbilder vom Tegernsee wurden später weltberühmt. Sie waren Teil einer US-Filmbiografie über den Raggae-Musiker.  

Und so ging´s weiter:

Bob Marley: Die Hoffnung auf eine Wunderheilung erfüllte sich nicht. Er starb am 11. Mai 1981, mit 36 und wurde zur Legende.


Die Abendzeitung: Meldete im März 2014 Insolvenz an. Der Straubinger Verleger Martin Balle übernahm.


Marie von Waldburg: Die AZ-Redakteurin wurde zu einer der bekanntesten Society-Reporterinnen. Bis 1999 Gesellschaftskolumnistin bei der AZ, dann bis 2016 bei Bunte. Heute erfolgreiche Autorin und Familien-Lady.

• Guido Krzikowski: Der Fotograf wurde zum AZ-Fotochef. Bis 1998. Dann freiberuflich unterwegs u.a für Bunte, GQ, Reuters und AP. Mehrfach ausgezeichnet kümmert er sich heute um seinen Stadtteil Haidhausen. Geplant ist eine große Fotoausstellung „Faszination meines Dorfes Haidhausen.“

PS: Ich, Peter Ehm, war 7 Jahre bei der AZ, bis 1985.

 

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