600 Millionen Tonnen Medien-Müll
Sie ist renommiert, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS). Und so glaubten viele an den 600 Millionen Tonnen Müllberg am Everest.
München – Die einen haben Angst, die anderen wollen´s nicht glauben und den dritten ist´s irgendwie egal. Es geht um den Klimawandel und seine Folgen. Fest steht: 47 Jahre nach der schockierende Studie des Club of Rome („Ende des Wachstums“, 1972) und den daraus resultierenden Fahrverboten hat eine Angst- und Sorgenkampagne Deutschland fest im Griff.
Die Informationen liefern die Medien. Zum Teil sind es ja wirklich schreckliche Bilder. Da ertrinken Schildkröten im Meer und in herrenlosen Fischernetzen. Die Fische sterben am Mikroplastik. Die Kühe produzieren Giftgas. Nur die Bienen sind momentan raus aus dem aktuellen Natur-Report. Wahrscheinlich schaffen sie´s.
Aber: Was ist mit den Heuschrecken, dem Kiebitz oder der Vipera walser? Die „Alpen-Viper“ wurde ja erst vor ein paar Jahren entdeckt und ist schon wieder vom Aussterben bedroht. Der Story-Nachschub für die Redaktionen ist nahezu unermesslich. Dazu kommt die mediale Deutungshoheit. „Hier erstickt unsere Erde“, titelte zum Beispiel die Bild. Zwei Wochen später atmeten die Leser erleichtert auf: „Noch nicht. Gottseidank.“
Im oberbayerischen Aschau macht sich übrigens ein Gefühl der natürlichen Freude und Zuversicht breit. Die Gemeinde im Chiemgau wurde zum „Modellort für den ganzen Alpenraum“ gekürt. Vorbildliches Wasser-, Energie-, Abfall- und Naturmanagement. Sorry, aber keine bad news. Die Aschau-Nachricht fand keinen Platz bei Tagesschau & Co.
Wir kommen nun zum Wald und zum Mount Everest – und landen deshalb im Frankfurter Zeitungsmarkt. Die dort produzierte renommierte Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) ist mit einer Auflage von 227.500 Exemplaren nicht so groß wie die Süddeutsche Zeitung (SZ, 337.700 Auflage). Aber mit ihrem Ableger, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), ist sie exklusiv in diesem Duell und erfolgreich (236.593 Auflage).
Wie sich´s gehört, reportiert die FAS immer wieder über aktuelle Umweltthemen. Da sind gut recherchierte Stücke im Angebot („Das Team Greta“), ebenso knackige Kommentare. Beispiel: „Der Wald brennt auch unseretwegen“. Es ging um das Feuerchaos im Brasilianischen Amazonasgebiet. „Wir werden immer reicher – und Brasilien spendiert die gute Luft? Die Zeiten sind vorbei. Wenn wir Erdgas kaufen können, dann auch Sauerstoff“, hieß es da im Kommentar.
Greta Thunberg wurde erwähnt, Raucherlungen, Feuer, Wasser, Chaos – und dazu kam der höchste Berg der Welt ins Spiel, der Mount Everest (8.848 m). Auch er sei verschmutzt. Müll, Müll, Müll. Da hätten sich am Berg mittlerweile 600 Millionen Tonnen Müll angesammelt….
Wie bitte? 600 Millionen Tonnen? So viel? Man denkt unwillkürlich an den oft strapazierten Redakteurs-Rechenbeispiel-Güterzug, der mutmaßlich von Berlin bis New York und wieder zurück reicht. Oder an die gestapelten Müll-Container, die irgendwie noch vom Mond aus zu sehen sind. Ein Müllberg, höher als der Everest mit dem Eifelturm obendrauf?
Tja, alles falsch. Der FAS-Kommentar irrt. Am Everest liegen keine 600 Millionen Tonnen Müll. Und die Frage muss gestattet sein, ob hier nicht ein bisschen der Wunsch der Vater der Müll-Diagnostik gewesen ist (Flugscham, Luxustouris, etc.).
Wie richtig müssen Zahlen sein, die schwarz auf weiß daherkommen? Gerade in einem Themenbereich, der immer stärker polarisiert? Konnte sich kein verantwortlicher Redakteur der FAS mal Gedanken machen über ein Irrsinnsgewicht von 600 Millionen Tonnen.
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat sich in ihrer Ausgabe vom 1. September 2019 korrigiert. Das ist zu loben. Es seinen nicht 600 Millionen Tonnen Müll am Everest, sondern 600 Tonnen. War halt ein Wort zu viel im „Waldbrand-Kommentar“. Und die 600 Tonnen? Stimmen die? Wer hat gerechnet? Oder wer hat´s erfunden? Oder sind´s vielleicht 60 oder 6…..?